Warum hat mir das keiner vorher gesagt

Oder: wann beginnt eigentlich das Leben?

Bist Du auch eine von denen, die unbedingt ein Kind wollten, spätestens sobald der richtige Partner da war? Und bist Du jetzt auch eine von denen, die manchmal gern ihr Leben zurück hätten? Irgendwie scheint es, als ob Frauen, die noch keine Kinder haben, auf dem „Vorsicht, alles wird anders“-Ohr taub wären. Oder trauen sich Mütter nicht, die schreckliche Wahrheit gegenüber Noch-Nicht-Müttern offen auszusprechen, in der Angst, sonst am Aussterben der Menschheit schuld zu sein?

Wie ist es sonst zu erklären, dass einen niemand vernünftig warnt? Warum sagt Dir keiner vorher, dass es nicht die Geburt ist, vor der Du Dich fürchten solltest, sondern alles, was danach kommt? Dass es egal ist, ob Du früher regelmäßig 60 Wochenstunden gearbeitet hast, mehrere Tage ohne vernünftigen Schlaf ausgekommen bist und Dich nicht davon schocken hast lassen, wenn nach der „finalen“ Freigabe durch den Kunden noch 28 (in Worten achtundzwanzig) neue Versionen erstellt werden mussten? Das bedeutet nämlich noch lange nicht, dass Du mit den Anforderungen und Widrigkeiten der Mutterschaft genauso locker fertig wirst. Auch bereitet die Verantwortung für mehr als 15 Mitarbeiter noch lange nicht auf die Verantwortung für ein einziges Baby vor.

Früher konnte ich auch große Projekte managen, kleinste und unwahrscheinliche Probleme vorausdenken und vorab Lösungen parat haben, habe dabei so gut wie nie etwas vergessen und immer den Überblick behalten. Letzte Woche habe ich den Hund vor dem Supermarkt angeleint, bin mit dem Kind einkaufen gegangen, war total stolz auf meine strukturierte Einkaufsliste und bin dann 15 Meter nach Verlassen des Geschäftes draufgekommen, dass ich doch etwas vergessen hatte. Den angeleinten Hund, der mich dann etwas verdutzt angeschaut hat, als ich ihn voller schlechtem Gewissen mit Leckerlis überhäuft habe.

Dass Dein Partner und Du früher gut miteinander über alle Probleme reden und eine gemeinsame Lösung finden konntet, bedeutet leider übrigens nicht, dass das in der neuen Beziehungsform „Vater-Mutter-Kind“ auch noch so ist. Wenn man nämlich überhaupt mal die Gelegenheit hat, ein persönliches Erwachsenengespräch zu führen (also das Kind schläft und beide Eltern am selben Ort und dabei auch noch wach sind), gibt es da noch Haushaltstätigkeiten, Termine zu koordinieren, den Hund zu versorgen und … Oder Du hast einfach nicht die Kraft dazu, Deine Wünsche ein gefühlt 37stes Mal zu äußern. (Ich. Brauche. Zwei. Stunden. Die. Woche. Für. Mich. Ohne Kind. Ohne Hund. Ohne Haushalt. Ohne Arbeit. Für mich.)

Interessant ist auch, dass es keine Ausbildung für den Full-time-Job „Mama“ gibt, aber jeder von der Wurstfachverkäuferin über die eigene Mutter und natürlich die Schwiegermutter bis hin zu wildfremden Menschen in den öffentlichen Verkehrsmitteln eine Meinung dazu hat, wie gut oder schlecht Du diesen Job machst. Oder zumindest einen guten Tipp, was Du anders machen solltest. Besonders häufig sind das zu allem Übel solche Menschen, die selbst keine Kinder haben. Spannend auch, dass man sich noch so sehr für eine entspannte Mutter halten kann, und dann trotzdem mit Argusaugen darüber wacht (und eine Meinung dazu hat), was der Partner, Babysitter oder die Großeltern mit dem Kind so machen.

Und hattest Du Dir vorgenommen, dass sich Deine Gespräche mit anderen Menschen nicht zu mindestens 50% um das Kind, seine Ausscheidungen und Fortschritte drehen werden? Hand aufs Herz – wie oft schaffst Du unter 90%?

Hilfe! Ich war doch mal eine trotz beruflichem Stress relativ ausgeglichene, freundliche, reflektierte, erfolgreiche, zuverlässige, interessierte und (sexuell) aktive Persönlichkeit! Jetzt bin ich Mutter. Und ehrlich gesagt – oft bin ich sehr glücklich in dieser meiner neuen Rolle. Wenn das Kind das erste Mal greift, lächelt, ein Buch in Händen hält und gleich mal richtig umblättert, Mama sagt, „fertig“ gebärdet, freudig quietscht weil es Papa aus der Ferne erkennt, und dazwischen auch. Oft bin ich aber auch einfach fertig, mit den Nerven und auch körperlich. Letztens sagte mein Mann „ich vermisse Dich“. Und da habe ich gemerkt, ich vermisse mich auch. Und dann habe ich festgestellt: es sind noch 5 Wochen bis zur Kindergarteneingewöhnung. 6 Monate bis zur Teilzeit-Berufstätigkeit. Und maximal 18 Jahre, bis das Kind auszieht. Das schaffe ich. Und es wird mir den Großteil der Zeit viel Spaß machen.

Wie war nochmal mein Lieblingswitz?

Ein Hindupriester, ein christlicher Pfarrer und ein Rabbi führen eine Podiumsdiskussion zum Thema „Wann beginnt das Leben?“. Der Hindu sagt: „Das kann man so genau nicht festlegen, das Leben ist ein Kommen und Gehen, es gibt keinen Anfang und auch kein Ende.“ Der Christ meint: „Ganz klar, das Leben beginnt mit der Befruchtung der Eizelle. Abtreibung ist Mord.“ Der Rabbi lächelt, kratzt sich am Bart und antwortet: „ Also ich finde, das Leben beginnt, wenn der Hund tot ist und die Kinder aus dem Haus sind.“

Amen.

PS: Danke an Anna, die versucht hat, mich zu warnen, die ich aber für frustriert und unzurechnungsfähig gehalten habe. Jetzt bin ich selbst frustriert und unzurechnungsfähig. Eben eine Mutter. Und Glücklich. Meistens.

Über Nina Schönfeld (12 Artikel)
Nina Schönfeld ist Mutter einer kleinen Tochter und schreibt seit vielen Jahren Veröffentlichungen im Pharma-, Beauty- und Modebereich.